Donnerstag, 26. März 2020
Stolpern, stürzen,
wieder aufstehen. Eine kleine Geschichte davon:

(gerade, 27. 03. noch etwas ergänzt)





Als meine Mutter 77 jährig verwitwete fand sie schnell einen neuen Mann. Nicht die große Liebe, aber ein lieber Freund. Zunächst fand ich es sehr befremdlich, jedoch nach kurzer Zeit wurde mir ein klarer Vorteil bewusst: sie ruft nicht jeden Sonntag an, weil sie sich langweilt.

Anfang dieses Jahres gingen sie, wie immer, zum Tanztee, dem ersten in diesem Jahr. Beim ersten Tänzchen kam F. ins Straucheln, er stolperte, stürzte, brach sich den Oberschenkel. Erst hieß es Becken- dann Hüftbruch, wie auch immer.

F. ist schwer vor-erkrankt. Asthma, Blutdruck, Zucker … Er wurde ins Unfallkrankenhaus gebracht, aber wegen der Blutverdünner die er genommen hatte, erst späht Nachts operiert. Ein 13 (oder waren es 18?) cm langer Nagel wurde in den Knochen getrieben. Die Spitze ist etwa fünf cm von der Spitze des Dorns des künstlichen Kniegelenks entfernt.





Als ich ihn nach zwei Wochen das erste mal in der Klinik besuchte ging es ihm schon einigermaßen. Zufällig kam der behandelnde Arzt strahlend herein und sagte: „Na Herr F. Sie sehen ja wieder gut aus hoite, klare Augen, Farbe im Gesicht. Und ihre Blutwerte sind auch wieder einwandfrei.“ Bis dahin waren die Blutwerte miserabel gewesen, die Niere arbeitete schlecht. Der Arzt erklärte es mir so: „Naja, so ein alter Mensch mit den Vorerkrankungen und der Medikation kann gut eingestellt gut funktionieren, bis was dazwischenkommt. Und so eine Vollnarkose tut dann das ihrige dazu. Da bricht das System dann schnell zusammen.“

Am zweiten Tag nach der OP war F. davon überzeugt das Krankenhaus nicht wieder lebend zu verlassen. Nun, zwei Wochen später musste er es verlassen. Fallpauschale, Sie wissen schon, Oberschenkelbruch = zwei Wochen, länger zahlt die Kasse nicht. Er wurde in eine geriatrische Rehaklinik verlegt, das ging dann schon, ich glaube wieder für zwei Wochen, wegen Fallpauschale, Sie wissen schon. Anschließend kam er zur Kurzzeitpflege für drei Wochen in ein Pflegeheim. Er hätte wegen besonderer Härte weitere drei Wochen bewilligt bekommen, aber, das Pflegeheim hatte keinen Platz mehr, da der Flügel in dem er lag geschlossen wurde, um abgerissen zu werden und Platz zu machen für einen größeren Neubau. F. hätte sich also ein neues Heim suchen müssen, aber zum einen sind Heimplätze rar, zum anderen wollte er nach Hause, was ich verstand aber für keine gute Idee hielt.





Ich half dann bei seinem Umzug. Den Tag ging es F. mal wieder richtig schlecht, er hatte Durchfall, Blutdruck war unterzuckert und und und. Ihn selbst zog ein Freund, ein demnächst in Rente gehender Altenpfleger, um, per Rollstuhl, durch den Park. Pflegeheim und seine Wohnung liegen nur 1,5 km voneinander entfernt.Der Tag war zwar strahlend schön, aber lausig kalt. Mitte Februar war das wohl, ich erinnere mich nicht mehr genau.

Nebenbei: der Altenpfleger ist schwarz, so schwarz wie ein Mensch nur sein kann. Dazu groß und kräftig und in weiten hellen Baumwollklamotten gewandet. Wenn er in Rente geht fängt er umgehend in dem Heim an, in dem F. lag. Als 450 Euro Kraft, mit der kargen Rente die er bekommt wird er sonst nicht über die Runden kommen. Ob er einer Religion angehört weiß ich nicht, er ist aber ein Paradebeispiel für gelebte Nächstenliebe. Gut das er es hierher geschafft hat. Wie und woher? Keine Ahnung.

Noch eine Ergänzung: F.s Wohnung ist eine ca 40 qm kleine Einzimmerwohnung in einer vom Roten Kreuz betreuten, Seniorenwohnanlage.

F. hatte zuvor eine häusliche Pflege organisiert, die gleich am ersten Abend kam. Meine Mutter hatte bereits einen Notruf installieren lassen Auch der Physiotherapeut kam in den nächsten Tagen in seine Wohnung und übte mit ihm gehen, mit Rollator, zum Klo, ins Bett, über den Flur und da dann auch gleich noch Stufen.





Inzwischen schafft F. es zu meiner Mutter in den ersten Stock, die Treppen hoch. Er besucht sie dort, also sie holt ihn mit dem Auto ab, um mit ihr den Nachmittag auf dem Westbalkon zu verbringen. Anschließend bringt sie ihn wieder nach Hause.

Ein bisschen Sorgen macht ihm ein offene Stelle am Fuß, Zucker, sie wissen schon. Mehrere Zehen wurden ihm in den letzten Jahren deswegen schon amputiert. Bei meinem damaligen ersten Besuch im Krankenhaus schenkte ich ihm ein Ausmalbuch und Buntstifte. So ein alter Mann will ja beschäftigt sein. Alle Bilder dieses Beitrags sind von F.





F. wurde gestern 85 Jahre alt. Meine Mutter und er hoffen, das sie im Mai den geplanten Urlaub an der Ostsee antreten können.

Toi, Toi, Toi.
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Ich drück die Daumen!

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